Dies ist ein Artikel aus der Isaac`s Zeitung 2/93! ACHTUNG! Inhalt ist historisch, alle Angaben entsprechen dem Stand von 1993!

"Na, was spielt ihr denn da...?" oder: Eindrücke aus der Ergotherapie

Von vielen zufälligen Betrachtern immer noch für unnütze Spielerei gehalten, haben sich Computer und ähnliche technische Hilfen zu einem wichtigen Medium der Kommunikation mit Körperbehinderten entwickelt. Sie ermöglichen es nichtsprechenden Kindern, die auch ihre Hände nicht zum Schreiben nutzen können, sich über den Bildschirm zu äußern und ihre Wünsche zu drucken, um sie woanders oder später zu zeigen. Mit einer Sprachausgabe versehen, kann ein kleines Gerät es einem Schwerbehinderten ermöglichen, sich auf Knopfdruck in der Schulklasse oder der Pausenhalle unüberhörbar bemerkbar zu machen. Dies bedeutet für den Behinderten den Schritt von der Passivität und dem Warten auf Ansprache durch andere Personen hin zur aktiven Teilnahme und den oft witzigen, aber auch manchmal frechen Gesprächsbeiträgen, die für uns Sprechende völlig selbstverständlich sind.

Ich arbeite als Ergotherapeut im Behindertenzentrum Raisdorf des Deutschen Roten Kreuzes. Wir erhalten oft Anfragen nach Tips oder Beratung zum Thema Computereinsatz in der Therapie, bei denen ich merke, daß der allgemeine Wissensstand bei Therapeuten aller Fachrichtungen noch viel zu gering ist. Viele der Interessenten fragen nach Computerprogrammen für geistig behinderte Kinder, speziell für zusätzlich körperbehinderte Kinder, durch die dann alle Probleme mit einem Tastendruck verschwinden. Doch ein Computer ist kein Wunderheiler und die sinnvolle Nutzung erfordert Einarbeitung und Fachwissen! Andererseits gehen die Kinder viel offener und unbefangener mit den neuen Medien um, als es die erwachsenen Betreuer können. Diese haben oft selbst die größeren Probleme mit einem Computer!

Im BHZ Raisdorf haben wir mehrere schwer körperbehinderte Kinder, z.T. auch mit geistiger Behinderung. Ich arbeite mit einigen davon am Computer und an weiteren technischen Medien. Für einen konkreten Ratschlag oder eine Programmempfehlung, die auf jede Behinderung zutrifft, fehlen natürlich genauere Daten über den Entwicklungsstand und die geleistete Vorarbeit im Einzelfall. Deshalb sind dies nur pauschale Anmerkungen, die aber vielleicht ein wenig zur Aufklärung über die denkbaren Möglichkeiten beitragen:

1. Für die Kommunikationsanbahnung ist ein normaler Computer völlig ungeeignet! Hierfür sollten erst ganz einfache Geräte spielerisch ausprobiert werden, um dem Kind seine Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme überhaupt erst klarzumachen! So sind z.B. große Lichtschalter mit bunten Lampen auf einer Holzplatte leicht selbst herzustellen und geben dem Kind eine deutliche Reaktion auf seine Bewegung. Ähnliches kann mit Schaltern für Ventilatoren, Vibratoren, elektrischen Eisenbahnen, Motoren, Karussells und anderem Spielzeug erreicht werden. Bei kräftigen Spastikern empfiehlt sich der Batteriebetrieb eher als ein 220-Volt-Anschluß. Ideen dafür lassen sich im Alltag schnell finden, es gibt aber auch spezialisierte Firmen, wie z.B.

Wehrfritz, Katalog für integrative Einrichtungen, August-Grosch-Str.28, 96473 Rodach
ROMPA, über Sport-Thieme, Helmstedter Str.40, 38368 Grasleben, Tel. 05357-181 84.

2. Eine weitergehende Kommunikation sollte anfangs nicht an einen stationären PC gebunden, sondern mobil und schnell benutzbar sein. Hier habe ich sehr gute Erfahrungen mit dem INTROTALKER der Firma

Prentke-Romich, Ringstrasse 16, 34454 Arolsen, Tel. 05691-407 58

gemacht. Dieses akkubetriebene Gerät wird mit acht oder 32 Tasten ausgestattet, die mit Symbolen oder Fotos etc. beklebt werden. Unter jeder Taste ist ein Satz abspeicherbar, der vom Betreuer aufgenommen wird. Das Kind kann die Tasten einzeln abrufen oder mit Kombinationen von zwei oder drei Tasten neue, andere Sätze "sprechen" und es ertönt immer die echte Stimme des Betreuers, keine synthetische Computerstimme. Dadurch können nichtsprechende Behinderte schnell kommunizieren und es steht immer eine menschliche Stimme im Raum, ein nicht zu unterschätzender psychologischer Aspekt! Die Firma vertreibt auch ähnliche Geräte, die z.B. mit einer am Kopf befestigten Lampe die Tasten auslösen. Es findet eine ausführliche Beratung und Einweisung statt, bei Hard- und Softwarefirmen leider schon eine Seltenheit!

3. Bei Kindern, die noch keine Schriftsprache beherrschen, setzen wir Symbolsprachen wie z.B. BLISS ein. Wenn die Grundelemente der Bliss-Sprache bekannt sind, eignet sich auch ein Programm für den PC. So benutzen wir ein im BHZ entwickeltes Bliss-Programm für IBM-kompatible PC`s, bei dem das Kind aus einer vom Betreuer getroffenen Vorauswahl aus 1400 Bliss-Symbolen einzelne Zeichen aussucht und ausdruckt. Die übliche Sprechtechnik besteht im Zeigen auf die Symbole einer Papptafel, was das Kind aber nur in Anwesenheit eines "Vorlesers" machen kann, wogegen der Ausdruck eines Briefes am PC auch ohne Betreuung möglich ist. Weitere Informationen über das DORA-Bliss-Programm bei uns,

DRK-Behindertenzentrum, Herr Tschirschwitz, Henry-Dunant-Strasse, 24223 Raisdorf, Tel. 04307/ 909-01,

grundsätzliche Erklärungen zu Bliss und Literatur beim
Bundesverband für spastisch Gelähmte, Brehmsstr.5-7, 40239 Düsseldorf, Tel. 0211-62 66 51.

4. Programme für Hirnleistungstraining, Wahrnehmungsförderung, Ausdauerübungen, etc. können folgenden Verzeichnissen entnommen werden:

Softwarekatalog Neuropsychologische Therapieprogramme, Kuratorium ZNS, Humboldtstr. 30, 53115 Bonn, Tel. 0228-63 11 53
Rainer Stadler: Software für Förderschulen, Landesinstitut für Erziehung und Unterricht, Wiederholdstr.13, 70174 Stuttgart
Fa. Petra Rigling Reha-Service, Bahnhofstr.13d, 76337 Waldbronn, Tel. 07243/ 688 59

5. Um einen Computer für Behinderte bedienbar zu machen, sind oft viele einfache, aber wichtige Adaptionen nötig. Dies ist ein Spezialbereich der ergotherapeutischen Hilfsmittelversorgung, bei dem präzises Beobachten der Möglichkeiten des Kindes und Kreativität im Entdecken neuer Ansätze gefragt sind. So können Körperbehinderte z.B. durch Blasen, Saugen, Augenblinzeln oder hauchfeinem Fingerdruck das Gerät bedienen. Große Tastaturen oder Schalter aus Pedalen oder Luftbällen sind etwa bei Spastikern und kräftigen Behinderten hilfreich. Eine Übersicht von Hilfsmitteln bieten die Firmen xxx und xxx (1999 unannehmbar veraltet) an.

6. Grundsätzlich muß ein PC, der im Behindertenbereich eingesetzt wird, nicht nur für den Anwender, sondern auch für alle Betreuer und Eltern leicht verständlich zu bedienen sein. Voraussetzung für einen sinnvollen Einsatz ist daher eine intuitive Benutzerführung, die keiner langen Einführungskurse bedarf. Der Anwender sieht die Möglichkeiten des Programms auf dem Bildschirm und wählt nur das Gewünschte aus, braucht sich aber nichts zu merken. Standard ist hier MS-Windows, Version 3.1, in Verbindung mit einem VGA-Farbmonitor und Mausbedienung. Der Drucker sollte leise sein, um in der Klasse nicht zu stören und keine Schreckspastiken auszulösen. Nadeldrucker nerven mit ihrem "Gesäge" noch drei Türen weiter... Ich empfehle einen Tintenstrahldrucker wie z.B. den HP Deskjet 510, da außerdem der Einzelblatteinzug den Behinderten vom Papiereinlegen befreit. Der Computer sollte mindestens ein 386 SX-Typ mit 80 MB großer Festplatte und 4 MB großem Arbeitsspeicher sein. Das Betriebssystem kann MS-DOS Version 6.0 sein, zu empfehlen ist aber auch das preiswertere DR-DOS 6.0 wegen der nützlichen Hilfsprogramme.

Eine ganz andere Frage ist die Wahl zwischen dem stationären PC oder einem transportablem Laptop. Auch wenn es hier bereits große Fortschritte gegeben hat, die schlechtere Lesbarkeit des LCD-Displays beim Laptop wiegt den Vorteil des leichteren Transportes nur selten auf. Für Windows gibt es inzwischen eine Fülle von preiswerten Programmen. Spiele, Textverarbeitung, Zeichenprogramm und alle anderen passen zusammen und werden genau gleich bedient, vom Memory-Spiel bis zur professionellen Gestaltung einer Zeitschrift. So muß man sich nicht jedesmal mit einem Haufen von Abkürzungen und Befehlen herumquälen. Bei diesen Punkten wird leider zu oft das falsche System angeschafft und dann bringt die kleinste Störung oder Inkompatibilität beim Datenaustausch alle Kommunikation zum Erliegen.

Ein Aufgabenbereich der Ergotherapie ist es, herauszufinden, wie der Behinderte nun eine technische Hilfe bedienen kann. Hier sind Fachwissen, Beratung mit anderen Fachbereichen und oft auch einfach Ideenreichtum gefragt, um einen neuen Weg zu finden. Da jeder Behinderte einzigartig ist, gibt es natürlich auch kein Gerät für alle Behinderungsformen! So sind z.B. bei einer Spastik große, stabile Schalter nötig, während bei einer Muskeldystrophie winzige Tasten sinnvoll sein können.

Viele Eltern und Lehrer sehen die schulischen Leistungen eines Kindes im Vordergrund, wenn sie an einen Computer für einen Behinderten denken. Gerade hierbei hat die Ergotherapie einen ganz anderen Ansatz. Ausgehend von dem Wissen um die notwendigen Entwicklungen des Gehirns, die eine feine und hochintellektuelle Wahrnehmung erst möglich machen, können wir an den Grundlagen für das Schreiben und Lesen arbeiten, welche bei Körperbehinderten oft zwangsweise unterentwickelt sind. Bei einem recht einfach aussehenden "Spiel" muß dann das Kind Formen herausfinden, die es vorher aus Holz ertastet hat und dabei eine schwierige Übertragungsleistung vollbringen, die ihm später hilft, abstrakte Buchstaben überhaupt erst wiederzuerkennen. Erst die Verbindung mit den anderen ergotherapeutischen Techniken und Medien ergibt einen ganzheitlichen Ansatz in der Förderung behinderter Kinder.

Als Ergotherapeuten im Behindertenzentrum Raisdorf arbeiten wir nicht nur mit den Kindern unseres Internates. Wir beraten und betreuen zahlreiche Kinder in ganz Schleswig-Holstein in Fragen der technisch unterstützten Kommunikation. Auch Eltern und Lehrer müssen in die Bedienung eingewiesen werden, damit ein von uns verordnetes Gerät sinnvoll eingesetzt werden kann.

Ich erwarte im Bereich der technisch unterstützten Kommunikation noch große Fortschritte, da Computer immer kleiner, leistungsfähiger und preiswerter werden und gleichzeitig die Angst der Erwachsenen vor technischen - also "unmenschlichen" - Geräten langsam schwindet. Für unsere Kinder ist der Umgang mit einem Computer schon längst selbstverständlich, wie für andere nichtbehinderte Kinder auch. Darüber hinaus ist ein Computer manchmal das einzige Mittel, sich mitzuteilen. Für ältere Behinderte kann er völlig neue Möglichkeiten schaffen, einen Arbeitsplatz zu finden und damit eine interessante Perspektive bieten!

Für alle interessierten Pädagogen möchte ich hier noch eine Aufstellung von Computerspielen anbieten, bei denen viele der o.a. wichtigen Punkte geübt werden können. Es sind größtenteils kleine, preiswerte Spiele, bei denen man bei kommerziellem Einsatz eine Registriergebühr bezahlen muß, ansonsten nur die Kopierkosten bezahlt (sog. "Shareware"). Die Liste kann natürlich nie vollständig sein, ich freue mich über Ergänzungen! Bestellen kann man die Spiele bei Shareware-Händlern, wie z.B.
Pearl Agency, Am Kalischacht 4, 79426 Buggingen.
Literaturtip: Zeitschrift mit Diskette "DOS-TREND".

Trainingsziele der Spiele und Übungen sind aus ergotherapeutischer Sicht:

Hier nun einige der von mir erfolgreich eingesetzten Spiele:

Abschließend bitte ich um Kommentare und den Austausch eigener Erfahrungen, damit sich auf diesem Gebiet noch viel zugunsten der Patienten oder Behinderten ändert!

Berufliche Anschrift des Autors:

DRK-Behindertenzentrum Raisdorf
Ergotherapie
Arvid R.Spiekermann
Henry-Dunant-Strasse
24223 Raisdorf
Tel.: 04307 / 909-01

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