(Ein Artikel für die Isaac´s Zeitschrift 2001)

 

Neue Sitzschalen ermöglichen neue Bewegungen!

 

Finden Sie es ungewöhnlich, in der Isaac-Zeitung etwas über Sitzschalen zu lesen? Das ist doch was für Spezialisten, vielleicht für die Physio- oder die Ergotherapie-Zeitschrift. Aber hier bei Isaac?

Tja, denkste. Welche Bedeutung die Positionierung, also der richtige Abstand von Mensch und Maschine und die richtige Stelle, wo eine Taste erreichbar ist, überhaupt hat, wird einem erst klar, wenn man schlauer geworden ist. Und schlauer zu werden geschieht manchmal gegen den eigenen Willen!

Aber erstmal von vorne: Seit vielen Jahren werden schwer körperbehinderte Menschen wegen ihrer Bewegungsstörungen im Rollstuhl fixiert. Sie können sonst nicht stabil sitzen, fallen zur Seite heraus und können auch nur schlecht einen Talker bedienen. Bei starken Spastiken werden die Fixierungen eben auch stärker gemacht, es kommen noch Pelotten, Brustgurt, Fußfixierungen, Abduktionskeil, Spreizhose und vielleicht noch eine Kopfstütze mit Stirnband hinzu. Alles gut und schön, nach Lehrbuch, war ja auch schon immer so - je schwerer die Bewegungsstörung, desto massiver die Fixierung. Doch für viele Spastiker scheint so keine Erleichterung einzutreten, ihre Bewegungen bei der Talkerbedienung werden immer noch nicht gezielter.

Da kommen plötzlich Menschen mit einer Idee daher und bauen eine Sitzschale, die Bewegungen zuläßt. Eine bewegliche Sitzschale, in der sich Spastiker aufrichten können und ihren aufgebauten Tonus ablassen können und dann wieder in die Ausgangslage zurückgebracht werden. Und man erinnert sich daran, wie unangenehm es ist, wenn man drei Stunden im Flugzeug auf dem engen Stuhl sitzen muß, ohne aufstehen zu können.

Die körperbehinderten Menschen erscheinen nach der aktiven Anspannung für eine längere Zeit entspannt und können auch mit der Hand wieder länger Tasten ansteuern, ohne sich zu verkrampfen. Damit wird eine solche Sitzschale für uns in der Unterstützten Kommunikation sehr interessant und zum wichtigen Thema der ganzheitlichen Hilfsmittelversorgung im Team.

Ich möchte hier keine einzelne Firma empfehlen, es sei nur gesagt, daß es zwei Systeme gibt, eins mit Gasdruckstoßdämpfern und eins mit Gummidämpfern. Da solche Sitzschalen nicht aus dem Katalog bestellt werden können, kann hier nur angeregt werden, den zuständigen Orthopädiemechaniker darauf anzusprechen und den Einsatz zu überprüfen.

Am meisten hat mich aber der Paradigmenwechsel beeindruckt. Der Wechsel von der immer stärker werdenden Bewegungsunterdrückung hin zum Ermöglichen von Bewegung ist wirklich ein Revolution in der Rollstuhlversorgung. Allerdings muß man hinzufügen, daß die Geräte noch sehr teuer sind, keine Langzeiterfahrungen vorliegen und sich die meisten Orthopädiemechaniker damit noch nicht auskennen. Aber das kann sich ja recht schnell ändern...

 

Arvid R. Spiekermann

www.Spiekermann.onlinehome.de