Artikel für ERGOTHERAPIE & Rehabilitation 6/1996, Seite 551

 

Warum funktionieren Kommunikationshilfen nicht?

Wirtschaftlichkeit und Wirklichkeit bei technischen Hilfsmitteln für Sprachbehinderte

 

Trotz des glücklicherweise inzwischen recht hohen Niveaus der technischen Kommunikationshilfen gibt es immer wieder Fälle, in denen die verordneten und angepaßten Hilfen in der Ecke liegen oder in einer Schublade “vergammeln”. Wie kann es trotz großer Anstrengung der Beteiligten zu einer solchen Fehlversorgung mit eigentlich “perfekten” Geräten kommen und wie können wir im Einzelfall die Situation verbessern?

 

Schon bei der Auswahl eines Hilfsmittels passieren meistens die ersten Fehler. Wie finde ich als normaler Therapeut oder Pädagoge die geeignete Hilfe, wo bekomme ich Adressen von Firmen? Auch wenn es hier bereits Ansätze gibt, den Therapeuten z.B. mit der ERGODAT-Datenbank einen Marktüberblick zu ermöglichen, sind viele mit einer umfassenden Hilfsmittelberatung noch überfordert. Bei den hohen Kosten für technische Hilfen und vor allen Dingen bei der Bedeutung, die diese Hilfe dann für das Leben des Behinderten haben wird, ist es eigentlich selbstverständlich, mehrere Geräte auszuprobieren.

 

Bei der Bedarfsanalyse geschehen dann die nächsten Fehler. Die Kommunikationshilfe wird nach dem von allen Beteiligten erwünschten zukünftigen Leistungsstand des Behinderten ausgewählt. Natürlich sind hier die Prognosen schwer, aber jemand, der gerade einen Schlaganfall hatte, kann z.B. mit einem Computerarbeitsplatz noch nichts anfangen. Schlimmer noch, er wird durch diese Fehl- oder Überversorgung vielleicht nie schreiben oder sprechen lernen, da die notwendigen Stufen dazwischen ignoriert werden.

 

Sicherlich sind die jeweiligen äußeren Bedingungen ein wichtiger Faktor, der schon bei der ersten Bestandsaufnahme und Diagnostik berücksichtigt werden muß. Oft sind die Anforderungen an das Umfeld beim Einsatz von Kommunikationshilfen so hoch, daß sich eine große Fehlerquelle abzeichnet. Das Erlernen und Mitbenutzen eines Gerätes durch alle Beteiligten, wie es im Idealfall zu wünschen ist, bleibt wohl illusorisch. Aber ich habe im Alltag schon Ablehnung erfahren, wenn z.B. eine Lehrerin mehr Zeit mit einem Kind verbringen muß, da die Kommunikation noch sehr zähflüssig verläuft. Wenn aber die schulischen Betreuer das Gerät oder die Symbolsprache nicht erlernen, können sie es nicht aktiv und sinnvoll in den Unterricht “einbauen”. Es wird dann oft auf die eine Stunde Sprachtherapie wöchentlich verwiesen. Wenn nun aber die Sprachtherapeutin sich um die Stimmbildung kümmert und sich nicht mit der Kommunikationshilfe beschäftigt...

 

Das Gerät muß also im Hinblick auf die Alltagssituation des Behinderten überprüft werden. Damit ist die zukünftige Situation gemeint, z.B. Integrationsmaßnahme oder Spezialeinrichtung, Rückkehr an den Arbeitsplatz oder Werkstatt für Behinderte, Angehörige oder alleinstehend, usw. Aber auch die bisherige Situation darf bei der Auswahl nicht vernachlässigt werden. So wird ein alter Mann, der in seinem ganzen Leben nur “jo”, “nö” und “mmmh” gesagt hat, selbst mit der besten Schreibhilfe keine persönlichen Sätze schreiben wollen. Eine Versorgung mit einem Hilfsmittel, das über 2000 Sätze sprechen kann, würde doch völlig an der Lebensrealität des Mannes vorbeigehen!

 

Die technischen Hilfen haben in den letzten Jahren immer mehr Funktionen erhalten und sind erheblich leistungsfähiger geworden. Für jemanden, der die Anfänge dieser Technik oder gar die Zeit davor miterlebt hat, ist das eine großartige Entwicklung. Die Entwicklung eines sprachbehinderten Kindes orientiert sich nicht mehr an vorhandenen bzw. an den nicht vorhandenen Hilfen, die Hilfsmittel können vielmehr exakt dem jeweiligen Leistungsstand angepaßt werden, wie sein Rollstuhl ja aufgrund des Wachstums auch nachjustiert werden muß.

 

Leider zeigt sich immer wieder, daß Hilfsmittel inzwischen nach deren umfangreichen Fähigkeiten bewertet werden und nicht nach dem Sinn dieser Funktionen für den Behinderten. Im Einzelfall muß immer geprüft werden, ob die Ausstattung eines Hilfsmittels in Bezug auf diese eine Person zu rechtfertigen ist. Funktionen wie auditive Rückmeldung, Scanning-Modi, Lautstärkeregelung der Sprachausgabe, usw. können für den einen Behinderten sinnvoll sein und sollen dann natürlich auch ausgewählt werden. Aber eine Lautstärkeregelung etwa, die der Behinderte wegen des winzigen Knöpfchens nie selbst bedienen kann, macht nur wenig Sinn. Die zunehmende Aufrüstung der Kommunikationshilfen bis hin zur “Schnittstelle zur Kaffeemaschine” läßt sich in vielen Fällen doch gegenüber den Kostenträgern gar nicht rechtfertigen. Und der Alltag zeigt, wie selten diese Funktionen dann wirklich benutzt und benötigt werden.

 

Natürlich gibt es kein Hilfsmittel, das für alle Behinderten gleich gut geeignet ist. Unsere Aufgabe ist es, das Hilfsmittel auszuwählen, das die jeweiligen Anforderungen genau erfüllt. In vielen Fällen ist eine leichte, transportable Lösung für die einfache und schnelle Kommunikation geeigneter als der leistungsfähige Sprachcomputer, der dann immer zu Hause bleibt. Besonders zu Beginn einer Kommunikationsförderung sollten einfache Geräte ohne verwirrende Wahl- und Verstellmöglich- keiten eingesetzt werden. Es lohnt sich, die praktischen Geräte in dieser “Kompaktklasse” einmal auszuprobieren und nicht immer gleich die große HighTech-Lösung anzustreben!

 

Abschließend möchte ich feststellen, daß es für die allgemeine Fortentwicklung im Hilfsmittelbereich enorm wichtig ist, daß sich alle Beteiligten als Aktive und als Teil dieser Entwicklung verstehen. Wir Therapeuten und Pädagogen müssen die Geräte prüfen, die Weiterentwicklungen verfolgen und den Herstellern Rückmeldungen geben! Die Verbandszeitung ERGOTHERAPIE & Rehabilitation halte ich für ein ideales Medium für solche Diskussionen, über berufliche und örtliche Grenzen hinweg. Nur so kann der technische Fortschritt auch in sichtbare Hilfe für Behinderte umgewandelt werden.

 

(Abgebildet war hier noch ein Falck-Talker mit Sprachbuch)

 

Fragen und Anregungen bitte an:

Arvid R. Spiekermann

Oldenburger Str. 19

24143 Kiel

Tel. 0431 / 7 55 88

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